Das Gute und das Schöne
Du fragst dich vielleicht, was „Bio-Spitzenküche“ konkret bedeutet. Die BIOSpitzenköche erhalten Auszeichnungen für ihre hochwertige, kreative Küche und für ihre nachhaltigen Konzepte. Doch wie funktioniert nachhaltige Gastronomie? Wir haben bei Andrea und Marcello Gallotti vom „erasmus“ in Karlsruhe nachgefragt.
Was ist "gut"?
„Für uns bedingen sich das Gute und das Schöne gegenseitig. Wenn eine Zutat durch ihren Geschmack überzeugt, ist sie für uns noch lange nicht gut. Sie muss einen Mehrwert für die Gesellschaft liefern, um für uns als Gut bewertet zu werden“
Andrea und Marcello Gallotti, Restaurant „erasmus“, Karlsruhe
Das „erasmus“ von Andrea und Marcello schmückt schon der zweite „Grüne Stern“ des Restaurantführers Guide Michelin. 2016 war das erasmus in Karlsruhe Deutschlands erstes Bio-Fine-Dining Restaurant. Nahezu 100 Prozent der Zutaten in Marcello’s Küche sind bio-zertifiziert und kommen aus nahe gelegener, kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Was nachhaltige Gastronomie für Andrea und Marcello bedeutet, hat Andrea uns mit einem aktuellen Beispiel erklärt.
Grüner Stern
Der Grüne Stern ist eine jährlich vergebene Auszeichnung, die das Engagement für nachhaltiges Arbeiten besonders hervorhebt. Die Adressen kombinieren ein kulinarisches Erlebnis auf höchstem Niveau mit Umweltbewusstsein und zeichnen sich durch alternative und besonders vorbildliche Gastronomie-Modelle aus.“ Guide Michelin
Andrea, gastronomische Nachhaltigkeit hat viele Aspekte. Wie funktioniert sie konkret am Beispiel eurer Kooperation mit dem Hinterbach Hof, von dem ihr Bio-Rindfleisch bezieht?
Das Projekt steht beispielhaft für die von uns angestrebte, ganzheitliche gastronomische Nachhaltigkeit. Der Hinterbach Hof ist nur eine viertel Stunde von uns entfernt. Um mit uns zusammenzuarbeiten, ist er Mitglied des Anbauverbands Bioland geworden. Er hält Hinterwälder Rinder, eine alte, hier verwurzelte Rasse. Die Rinder fressen hier ganzjährig nur Gras und Heu. Es wird also kein Futter importiert, das vorher auf ehemaligen Regenwaldflächen angebaut wurde. Die Rinder grasen stattdessen auf alten Streuobstwiesen. Diese müssten sonst mit Traktoren gemäht werden, die Diesel bräuchten. Der Erhalt dieser Streuobstwiesen und der alten Rinderrasse sind wertvolle Beiträge zum dringend notwendig gewordenen Erhalt der landwirtschaftlichen Artenvielfalt.
„Als die Tiere im Frühjahr auf die Weide gelassen wurden, durften wir Zeugen der intensiven Freude sein, die die Tiere erleben, wenn Sie auf die saftigen Wiesen kommen. Das war überwältigend!“ Andrea Gallotti
Hinzu kommen sozial-kulturelle Aspekte, die ganzheitliche gastronomische Nachhaltigkeit ermöglichen. Dem Tierwohl liegt auf dem Hinterbachhof alles zugrunde. So zum Beispiel auch der an drei Seiten offene Stall, der so großzügig gebaut ist, dass die Rinder sich mit ihren imposanten Hörnern nicht aus Versehen verletzen. Wirtschaftlich ist die direkte Beziehung zwischen uns Köchen und Landwirten für beide Seiten vorteilhaft. Die menschliche Beziehung ermöglicht es uns zudem, voneinander zu lernen und uns gegenseitig in unserem persönlichen Wachstum zu unterstützen.
„Als Landwirte wären wir sehr glücklich, zu wissen, wo und bei wem unsere Tiere wertschätzend in hochwertige Lebensmittel verwandelt werden.“
Frische Gras- und Kräuternoten
Und der Geschmack? Die Wiese, also frische Gras- und Kräuternoten finden sich im Geschmacksbild des Fleisches wieder. Dadurch entsteht eine magische Spannung zwischen dem Malscher Bioland-Hinterwälderfleisch und einer klassischen Sauce Béarnaise. Von großer Relevanz für die ganzheitliche gastronomische Nachhaltigkeit ist für uns auch das Anwenden traditioneller Rezepte und deren Neuinterpretation, um das ganze Tier für unsere Gäste attraktiv zu verarbeiten. Wir verarbeiten immer ein ganzes Rind. Es fällt also keine Transportenergie an, um Teilstücke des Tieres international zu vermarkten. Die Nachzucht und bald sogar das Schlachten finden vor Ort auf dem Hof statt. Sämtliche damit verbundenen CO2 Emissionen fallen weg. Der CO2 Fußabdruck des Fleisches dieser Tiere ist nicht mit jenem intensiv gehaltener Tiere zu vergleichen.
„Auf Fleisch und andere tierische Produkte in unserer Küche zu verzichten, ist für uns keine Option. Ein gewissenhafter Einsatz ist mit höchsten Ansprüchen an die gastronomische Nachhaltigkeit vereinbar. Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Genuss tierischer Produkte sogar Bedingung einer zukunftsfähigen Gastronomiekultur.“
Das bedeutet:
: Wir verwenden ausschließlich Fleisch aus süddeutscher Bioland und Demeter Landwirtschaft oder aus echter Jagd. Die ökologischen Effekte sind: Mehr Tierwohl, mehr Humusaufbau, keine energieintensiven, mineralischen Dünger, keine synthetischen Pflanzenschutzmittel, weniger Kraftfutter, mehr biologische Vielfalt.
: Die Tier werden möglichst extensiv gehalten: Gras und Heu statt Kraftfutter, keine Flächenkonkurrenz zwischen Tier und Getreide, Landschaftspflege, Grünland=Co2-Senke (CO2 Senke: Wiesen und Weiden binden CO2 aus der Luft und speichern es im Boden), gesteigertes Tierwohl durch tiergerechte Ernährung.
: Wir bevorzugen alte Rassen. Sie sind an lokale Gegebenheiten, wie Klima und Futterangebot angepasst und daher natürlicherweise robuster. Sie stärken das landwirtschaftliche System durch einen größtmöglichen Genpool.
: Wir servieren kleinere Portionen um Verschwendung zu vermeiden.
: Wir kaufen das Fleisch aller Tiere ausschließlich direkt beim Landwirt weil wir finden, dieser sollte den größten Anteil der wirtschaftlichen Wertschöpfung erhalten.
: Wir begreifen ökologische Nachhaltigkeit um kulturelle Aspekte erweitert: Wurst, Schinken, alte Rassen, Jagd, Gänsebraten, das alles ist Kulturgut. Diese Elemente unserer europäischen Identität möchten wir erhalten.
gastronomische Nachhaltigkeit im erasmus
→ Erhalt der landwirtschaftlichen Artenvielfalt
→ Dem Tierwohl liegt alles zugrunde
→ Niedriger CO2 Fußabdruck aller Verarbeitungsstufen
→ Faire, transparente Zusammenarbeit mit Lieferbetrieben und Mitarbeitenden
→ Regionale und persönliche wirtschaftliche Wertschöpfung
→ Erhalt & Innovation traditioneller Küche
→ Persönliches „Wachstum“: Austausch und voneinander lernen
Titelfoto: Annika Mester